ÖGN Kongreß 2018 – Neuroonkologie: Molekulare Diagnostik und verbessertes Neuroimaging ermöglichen maßgeschneiderte Therapien für Patienten mit Gehirntumoren

Statement OÄ Dr. in Judith Wagner, Kongresssekretärin, Klinik für Neurologie 1, Neuromed Campus, Kepler Universitätsklinikum Linz



Ich freue mich, Ihnen zum Abschluss einige aufsehenerregende Entwicklungen auf dem Gebiet der Neuroonkologie nahebringen zu können. Diese Subspezialität gehört zweifellos zu den dynamischsten Bereichen in der Neurologie und findet sich deshalb zu Recht auch im Programm unserer Jahrestagung entsprechend prominent. Aktuelle Fortschritte in der Therapie – und vor allem auch der Prognose – werden wir in Vorträgen und im Rahmen einer eigenen Arbeitsgruppe behandeln.



Neue Klassifikation der WHO für Gehirntumore



Wie sehr die Neuroonkologie im Umbruch ist, lässt allein schon daran erkennen, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO vor kurzem eine neue Klassifikation für Hirntumore erstellt hat. Bislang kennen wir rund 150 unterschiedliche Arten davon. Glioblastome, von denen jährlich drei bis vier Fälle pro 100.000 Personen auftreten, sind die häufigsten hirneigenen – also vom Hirngewebe ausgehenden – Tumoren. Die verschiedenen Unterarten unterscheiden sich durch ihren zellulären Ursprung, ihre Wachstumsgeschwindigkeit und die zu erwartende Prognose, aber, wie wir inzwischen wissen, auch hinsichtlich ihres Ansprechens auf die einzelnen Therapien. Das ist der Grund, warum die WHO ihr 2007 erstelltes Klassifikationsschema jetzt überarbeitet hat. Während die Tumore bisher aufgrund rein histologischer Diagnosen in vier Grade – von I wie gutartig bis IV wie bösartig – eingeteilt wurden, berücksichtigt die neue Klassifikation nun zusätzlich auch molekulargenetische und immunhistochemische Eigenschaften zur Differenzierung der unterschiedlichen Tumorentitäten.



Molekulare Diagnostik ermöglicht treffsichere Therapie und verlängert Überlebenszeit



Möglich wurde das durch die bemerkenswerten Fortschritte der molekularen Diagnostik. In den letzten Jahren ist es gelungen, eine ganze Reihe von Biomarkern zu identifizieren, die uns nun ein weitaus differenzierteres Bild der verschiedenen Tumorarten liefern. Das betrifft sowohl diagnostische Biomarker zur Präzisierung der Tumorklassifikation wie auch prognostische, die uns eine bessere individuelle Prognose ermöglichen. Für die Praxis wahrscheinlich am wichtigsten sind die prädiktiven Biomarker, mit denen wir heute viel genauer als bisher vorhersagen können, ob und wie eine Patientin oder ein Patient auf eine bestimmte Therapie ansprechen wird.



Das ermöglicht uns, die Therapiekonzepte besser auf den einzelnen Patienten zuzuschneiden und die jeweils beste Kombination aus Operation, Chemotherapie und Bestrahlung zu finden. So wissen wir beispielsweise, dass Patienten mit einem bestimmten hirneigenem Tumor, dem Oligodendrogliom, die eine spezifische Veränderung der Chromosomenstruktur – eine „1p/19q Kodeletion“ – aufweisen, am besten auf eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie ansprechen. Wie eine Studie zeigt, verdoppelt sich die Überlebenszeit dadurch auf durchschnittlich 14,7 Jahre, während sie bei alleiniger Strahlentherapie bei nur 7,3 Jahren liegt.



Verbessertes Neuroimaging erhöht Diagnosegenauigkeit



Ähnlich beeindruckende Fortschritte erleben wir auch in der bildgebenden Diagnostik. Zwar ist die Magnetresonanztomografie dabei immer noch das zentrale Instrument, um Gehirntumore zu identifizieren. Allerdings lässt sich Tumorgewebe mit einer MRT in vielen Fällen nur sehr ungenau von anderen, unspezifischen Gewebsveränderungen unterscheiden.



Die Positronenemissionstomografie mit radioaktiv markierten Aminosäuren, kurz FET-PET genannt, erlaubt uns heute aber, bestimmte Stoffwechselprozesse im Gehirn sehr genau zu beobachten. Damit lässt sich hochaktives Tumor- deutlich von inaktivem Narben-Gewebe differenzieren. Diese Untersuchungen sind aufwendig und leider immer noch teuer – machen sich aber bezahlt. Wie eine Biopsie-kontrollierte Studie zeigte, ist die Sensitivität des MRT – also die Fähigkeit der Methode, Tumorgewebe bei Tumorpatienten zu entdecken – in etwa gleich hoch wie bei MRT plus FET-PET. Allerdings ist die Spezifität des MRI nur etwas mehr als halb so hoch wie die der Kombination MRT plus FET-PET: Bei nur etwa der Hälfte aller nur mit MRT untersuchten Personen, bei denen mit dieser Methode ein Tumor diagnostiziert wurde, lag auch tatsächlich ein Tumor vor.



Das verbesserte Neuoimaging bringt aber nicht nur mehr Treffsicherheit bei der Grunddiagnose, sondern auch wesentliche Zusatzinformationen, die bei der Planung einer Biopsie oder eines neurochirurgischen Eingriffs deutliche Verbesserungen bringen. Dazu kommt, dass diese Methode auch die Therapie besser beurteilbar macht. In einer Studie bei Patienten mit Hirntumoren hat sich gezeigt, dass die FET-PET bereits in einem sehr frühen Behandlungsstadium zeigen kann, ob Patienten auf eine Chemo- oder Strahlentherapie ansprechen oder nicht.



Diese Entwicklungen zeigen nicht zuletzt auch, wie wichtig eine fächerübergreifende Zusammenarbeit gerade in der Neuroonkologie ist, wobei den Neurologinnen und Neurologen eine wichtige Rolle in der Patientenbetreuung zukommt.



Verbesserungsbedarf in der Palliativpflege für neurologische Patienten



Wo ich Verbesserungsbedarf sehe, ist in der palliativen Betreuung unserer Patientinnen und Patienten. Diese ist nach wie vor eine Domäne der Onkologie, die hier auch viel Erfahrung hat. Allerdings sind gerade neurologische Patienten oft schwieriger zu behandeln als andere Patienten im Endstadium ihrer Krankheit. In vielen Fällen sind sie rein körperlich mobiler, leiden dafür aber an starken kognitiven Einschränkungen. Darauf nehmen die vorhandenen Strukturen noch viel zu wenig Rücksicht.



Um dem mit Sicherheit wachsenden Bedarf an neurologischer Palliativpflege gerecht zu werden, wird es auch hierzulande – wie dies in Deutschland zum Teil schon der Fall ist – interdisziplinäre Einrichtungen brauchen, die mit mehr und speziell ausgebildetem Personal auf die spezifischen Bedürfnisse solcher Patientinnen und Patienten eingehen können.



Quellen: European Organization for Research and Treatment of Cancer [EORTC] 26951 und Radio Therapy Oncology Group [RTOG] 94-02 [3, 20]); Wick, W. & Hau, P. Nervenarzt 2015;86; Cairncross et al, J Clin Oncol 2013;31:337-43; van den Bent et al, Lancet 2017;390:1645-53; Pauleit et al. Brain 2005 ;128:678-87; Galldiks et al. J Nucl Med 2012;53:1048-57

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