Wien, 18.09.2020 – „Medizinische Errungenschaften und mehr ausgewogene Lebensweisen führ(t)en zu einer stetigen Steigerung unserer Lebenserwartung. In Österreich wird in den nächsten 10-15 Jahren der Anteil der über 60-Jährigen von 24% auf 37% an der Gesamtbevölkerung anwachsen. Neben der Freude über unser zunehmend längeres Leben, müssen wir (die Gesellschaft, aber besonders auch jede/r individuell) aber auch die Chance eines langen Lebens, verbunden mit Älterwerden, ergreifen und uns darauf vorbereiten. Gesundheitsvorsorge, im Speziellen Prävention von Erkrankungen, die häufiger im höheren Erwachsenalter auftreten können, wie beispielsweise neurodegenerative Erkrankungen, in Verbindung mit körperlicher Fitness sind dabei wichtige Vorgehensweisen,“ so der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Wien, Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger.
Die Alzheimer-Krankheit ist eine neurodegenerative Erkrankung, die in ihrer häufigsten Form über dem 65. Lebensjahr auftritt und durch eine zunehmende Demenz gekennzeichnet ist. Derzeit leiden weltweit rund 50 Millionen Menschen an Demenz. „Abgesehen von der enormen Krankheits-belastung für Betroffene und Angehörige, sind auch die direkten und indirekten Kosten, die der Gesellschaft im Allgemeinen und dem Gesundheitssystem im Speziellen entstehen, erheblich und machen alleine in Europa mehr als unglaubliche 100 Milliarden Euro pro Jahr aus“, führt Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger aus.
Die Krankheit ist nach dem Arzt Alois Alzheimer benannt, der sie im Jahr 1906 erstmals beschrieb, nachdem er im Gehirn einer verstorbenen Patientin charakteristische Veränderungen festgestellt hat.
„Der geistige Abbau im Alter lässt sich bremsen, wenn Risikofaktoren beachtet werden wie Bildungsmangel, Hörverlust, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Übergewicht, Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Depression, soziale Isolation. Der Lebensstil sollte in Richtung gesunde Ernährung (mediterrane Kost), viel Bewegung, Neugierde und Bildungsaktivität und soziale Kontakte geändert werden“, so der Präsident der Österreichischen Alzheimergesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco. „Ein weiteres wichtiges Anliegen ist die Frühdiagnose der Alzheimererkrankung. Dabei sind die Hausärztinnen Hausärzte wichtige Partner, um schon erste kognitive Beeinträchtigungen zu erkennen und dann die Betroffenen an eine Fachärztin oder einen Facharzt für Neurologie/Psychiatrie zur raschen und kompetenten Abklärung zu überweisen“, so Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco.
Pflegende Angehörige entlasten
In Österreich gibt es mehr als 200.000 betreuende An- und Zugehörige für von Demenz- bzw. von Alzheimer betroffenen Patientinnen und Patienten. „In Österreich leiden derzeit etwa 130.000 Menschen an Demenz. Diese werden hauptsächlich von An- und Zugehörigen betreut. Es ist wichtig, dass man diese unglaublichen Betreuungsleistungen dementsprechend wertschätzt und finanziell / personell unterstützt. Betreuende sollten weiterhin mehr entlastet werden, damit sie sich Zeit für Erholung nehmen können. Dies ist gerade auch während der COVID-19 Pandemie eine wichtige Forderung an die Politik“, so Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco.
Alzheimer während der COVID-19-Pandemie
Univ.-Prof. Reinhold Schmidt, Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Graz, sieht gerade in der COVID-19 Pandemie große Herausforderungen auf die Betroffenen und deren Betreuungsumfeld zukommen: „Dazu gehört die Verfügbarkeit von Schutzmaßnahmen für Pflegepersonen einschließlich pflegender Angehöriger, die Förderung von digitalen Medien für Menschen mit Demenz und das Krisenmanagement für Menschen mit Demenz in allen Krankheitsstadien. Die Krise hat aber gezeigt, dass in Akutsituationen auch neue Hilfsangebote auf allen Ebenen unbürokratisch und schnell geschaffen werden können. Als positive Beispiele dafür können ehrenamtlich Einkaufsdienste für Senioren, die Aussetzung der chefärztlichen Genehmigungspflicht für Medikamente, schnelle wenn auch befristete Pflegeeinstufung, telefonische und telemedizinische Versorgung und die Schaffung von Krisen-Hotlines genannt werden.“
Die Österreichischen Alzheimer Gesellschaft stellt dabei Forderungen und Empfehlungen auf:
- Strukturierte Erfassung von Folgen der COVID-19 Pandemie bei Patientinnen und Patienten mit Demenz und ihrem Betreuungsumfeld über mehrere Jahre
- Schaffung von Förderungen und finanziellen Ressourcen für die Entwicklung für Krisenpräventionsmaßnahmen für Menschen mit Demenz
- Ausbau des digitalen Angebots für Menschen mit Demenz und deren Betreuungsumfeld
- Proaktive Aufklärung und Schulung von professioneller und nicht-professioneller Pflege über hygienische Schutzmaßnahmen und zur Verfügung Stellung entsprechender Materialien
Zwei Ziele hat die ÖAG dazu für die Forschung ausgemacht: „Einerseits müssen die Auswirkungen der Krise auf die psychische und körperliche Gesundheit von Menschen mit Demenz und dem Betreuungsumfeld untersucht werden. Andererseits müssen auch die Auswirkungen vom COVID-19 Maßnahmengesetz auf die Progression von kognitiven Defiziten aber auch die Entwicklung von Suizidraten, Mortalität und Hospitalisierungen untersucht werden“, so Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt.
Die COVID-19 Pandemie hat aber auch positive Effekte die auch weiterhin bestehen bleiben sollten. „Das soziale Engagement in den Wohnheimen und Institutionen war beeindruckend. Genauso bei der ehrenamtlichen Hilfe für die ältere Bevölkerung im Alltag hat man gesehen wozu eine Gesellschaft fähig ist. Dazu stellt die Abschaffung der Genehmigungspflicht für Antidementiva eine wesentliche Erleichterung für die Betroffenen und deren Angehörige dar,“ so Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt.
Neue Studie gibt Hoffnung
„Leider sind wir in der der Therapie immer noch auf dem Stand wie vor etwa 15 Jahren. Die ersten „Impfungen“ bei Alzheimer-Erkrankung zeigen in der Behandlung leider nur wenig Wirkung. Somit ist weiterhin die Prävention und die Früherkennung der wichtigste Pfeiler in der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung“, so Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco.
„Bislang gibt es in der medikamentösen Therapie der Alzheimer-Erkrankung keine Medikamente, die auf die grundlegenden Mechanismen der Erkrankung einwirken. Nachdem in den letzten Jahren alle großen Therapiestudien im Bereich der Demenz enttäuschend verliefen, findet derzeit der Wirkstoff Aducanumab besondere Beachtung. Die Substanz setzt an den für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Amyloid beta – Ablagerungen im Gehirn an. Zuletzt veröffentlichte Studienergebnisse zeigten in PatientInnen mit milder Alzheimer Demenz eine leichte Verzögerung der kognitiven Einbußen. Die Herstellerfirma hat im Juli 2020 eine Zulassung für Aducanumab vorerst in den USA beantragt. Die neuen Daten geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Eine zuverlässige Beurteilung der Wirksamkeit kann aber erst erfolgen, wenn die Daten aus weiteren klinischen Versuchen mit Aducanumab vollständig vorliegen.
Trotzdem lässt sich der Ausbruch von Alzheimer und anderen Demenzformen auch jetzt schon durch einen gesunden Lebensstil deutlich verzögern. Dabei spielt bereits die Lebensphase zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr eine bedeutende Rolle. Wer bereits in frühen Jahren auf sich und seinen Körper achtet, verringert das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen im Alter“, so Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr.in Elisabeth Stögmann, Leiterin der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen an der Universitätsklinik für Neurologie in Wien.