Pressekonferenz zum Welt-Parkinson-Tag

Unter dem Titel „Was bedeutet Parkinson für unser Gesundheitssystem und wird Parkinson heilbar?“ hat die Österreichische Gesellschaft für Neurologie und die Österreichische Parkinsongesellschaft am 08.04.2022 eine Pressekonferenz veranstaltet. Dabei wurde anfangs auf die Epidemiologie und die Geschichte der Parkinsonerkrankung eingegangen.

„In Europa leiden nahezu 1 Million Menschen an der Parkinson-Erkrankung. Die Zahl der Betroffenen hat sich in den letzten 20 Jahren – auch in Österreich – praktisch verdoppelt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die demographische Entwicklung mit zunehmender Lebenserwartung. Laut Statistik Austria wird der Anteil über 60-jähriger Österreicher*innen von 24% (2014) bald auf 37% (2030) ansteigen“, so der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger.

Darüber hinaus wurde auch die große österreichische Tradition in der Erforschung der Parkinsonkrankheit gewürdigt: „Hervorzuheben ist heute aber auch, dass es in Österreich eine sehr lange und erfolgreiche Tradition bei der Erforschung der Parkinson-Erkrankung gibt und viele bahnbrechende Erkenntnisse österreichischer Neurowissenschaftler*innen zu unserem heutigen Wissenstand beigetragen haben. Beispielhaft zu nennen sind: Theodor v. Meynert, der große Neuroanatom der II. Wiener Medizinischen Schule, der schon etwa 1870 einen Zusammenhang zwischen den Basalganglien und dem Kortex des Gehirns mit den Symptomen einer Parkinson-Erkrankung erkannt hatte. Oleh Hornykiewicz, der in den 60-iger Jahren des letzten Jahrhunderts den Dopaminmangel als Ursache bei Parkinson entdeckte und folglich weltweit erstmals die Gabe von L-Dopa als Therapie der Parkinson-Erkrankung untersuchte. Und schließlich Werner Poewe, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Beiträge auf dem Gebiet der Parkinson-Erkrankung und anderen neurologisch bedingten Bewegungsstörungen zu den erfolgreichsten und meistzitiertesten Forscher*innen Österreichs gehört.“

Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe, emeritierter Vorstand der Univ. Klinik für Neurologie, MedUni Innsbruck, widmete sich in seiner Stellungnahme der Parkinson Frühdiagnose und dem Risiko Screening. „Zum Zeitpunkt der definitiven Diagnose einer Parkinson-Krankheit sind meist schon mindestens 60% der Dopamin-produzierenden Zellen des Gehirns verloren gegangen und ein erfolgreicher Schutz vor fortschreitender Erkrankung braucht eine frühere Diagnose.“ Der nächste Schritt im Bemühen um die Parkinson-Frühdiagnostik besteht in der Entwicklung von geeigneten Instrumenten zum Parkinson-Risiko-Screening für den breiten Bevölkerungseinsatz. Hierzu wird in Großbritannien seit einigen Jahren ein Internet-basiertes Fragebogen-Instrument in Kopplung mit postalisch versandten Geruchstests verwendet und in den USA hat die Michael J. Fox Foundation 2021 ein ähnliches on-line Verfahren gestartet. Eine on-line Fragebogen-Erhebung mit ergänzenden Geruchstests ist auch zentrales Element des soeben gestarteten europäischen Verbund-Projektes ‚Healthy Brain Ageing‘. Die Initiative ist ebenfalls auf das Parkinson-Risiko fokussiert und wird als ‚Gesund Altern‘ von der Klinik für Neurologie in Innsbruck betreut. Die on-line Umfrage und weitere Informationen sind ab sofort unter www.gesundaltern.at zugänglich.

„Die Zeit ist reif für die Erforschung von Bevölkerungs-basierten Screening-Programmen zum Parkinson-Risiko und deren Nutzen für Parkinson-Früherkennung und optimierte Behandlung“, so Univ.-Prof. Dr. Werner Poewe. Prim. Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager, Vizepräsidentin der Österreichischen Parkinsongesellschaft und Vorständin der Abteilung für Neurologie an der Klinik Donaustadt, referierte über die neuen Wege in der Symptomkontrolle. „Der medikamentöse Dopaminersatz führt beim Großteil der Erkrankten zu einer deutlichen Besserung der Beweglichkeit, oft auch der nicht-motorischen Beschwerden. Die unregelmäßige Rezeptorstimulation durch kurz wirksame Substanzen wie L-Dopa trägt – neben dem Nervenzellverlust an sich – zur Entstehung von Wirkschwankungen und unwillkürlichen Überbewegungen bei. Bei diesen motorischen Komplikationen sind Medikationsanpassungen notwendig. Zur Verlängerung der L-Dopa-Wirkung ist ein neuer COMT-Hemmer verfügbar. Lösliches L-Dopa und der Apomorphin-Pen können zu rascher Besserung führen, Weiterentwicklungen sind zum Beispiel durch die Mundschleimhaut aufgenommenes Apomorphin und inhaliertes L-Dopa“, so Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager.

Bei einem Teil der Betroffenen bleiben trotz aller oralen Anpassungsversuche Wirkschwankungen bestehen, zum Teil bedingt durch die immer unzuverlässigere Aufnahme aus dem Magen-Darmtrakt. „Bei weiterbestehenden Wirkschwankungen können gerätegestützte Therapien helfen: Bei der tiefen Hirnstimulation sind gezielte Stimulationssonden eine wesentliche Neuentwicklung. Neben den bewährten Infusionstherapien mit L-Dopa (in den Dünndarm) und Apomorphin (ins Unterhautgewebe) ist eine kleinere L-Dopa-Pumpe in Kombination mit einem COMT-Hemmer verfügbar. In Entwicklung sind subkutane L-Dopa-Pumpen“, so Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager.

Relativ neu ist, dass Erfolge in der Behandlung von Parkinson durch die Bewegungstherapien nachgewiesen werden konnte.  „Die Wirksamkeit von Bewegungstherapien wie Physiotherapie und Sport ist jetzt in aussagekräftigen randomisierten Studien nachgewiesen“, so Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager.

„Während des gesamten Krankheitsverlaufs sind individuelle Therapieanpassungen erforderlich, womit sich viele Symptome gut beherrschen lassen. Manche nicht-motorischen Probleme lassen sich zumindest teilweise behandeln, dazu gehören Schlafstörungen, Psychose, Stuhlverstopfung, Schmerzen und Depression. Bei schwer beherrschbaren Symptomen sollte frühzeitig eine Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum in Erwägung gezogen werden“, so Priv.-Doz. Dr. Regina Katzenschlager.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Pirker, Präsident der Österreichischen Parkinsongesellschaft und Vorstand der Neurologischen Abteilung an der Klinik Ottakring widmete sich der möglichen Heilung von Parkinson. „Neurologische Erkrankungen sind weltweit die wichtigste Ursache von Behinderungen und die Parkinson-Krankheit ist die am stärksten zunehmende neurologische Erkrankung. Bis 2040 wird sich die Zahl, der von Parkinson Betroffenen fast verdreifachen. Medikamente, die in den Krankheitsprozess eingreifen können, werden daher dringend benötigt. Unsere jetzigen Parkinson-Medikamente können die Symptome der Erkrankung über viele Jahre sehr wirksam lindern, das Fortschreiten des Krankheitsprozesses aber nicht aufhalten“, so Univ.-Prof. Dr. Walter Pirker.

Grund für das Versagen bisheriger Neuroprotektionsstudien dürfte unser begrenztes Verständnis der Entstehungsmechanismen der Parkinson-Krankheit sein. Ein massiver Wissenszuwachs in den letzten Jahren könnte nun einen Durchbruch bringen. Besonders die Genetik hat massiv zum Verständnis der Pathogenese der Parkinson-Krankheit beigetragen. Zwar leidet nur eine Minderheit von 5-10% der Parkinson-Patient*innen unter einer direkt vererbten, „monogenen“ Parkinson-Krankheit. Es handelt sich dabei aber um wichtige Modellerkrankungen, die auch Einblick in die Pathogenese der sporadischen Parkinson-Krankheit geben und Ansätze für die Entwicklung neuer kausal wirksamer Therapien liefern.

„Bisherige Neuroprotektionsstudien scheiterten am begrenzten Verständnis der Entstehungsmechanismen der Parkinson-Krankheit. Ein massiver Wissenszuwachs in den letzten Jahren könnte nun einen Durchbruch bringen. Viele neue potenziell krankheitsmodifizierende Medikamente werden zurzeit getestet. Therapieansätze, die zu einer Abnahme von Alpha-Synuklein führen, könnten den Weg für die Parkinson-Medikamente der Zukunft weisen,“ so Univ.-Prof. Dr. Walter Pirker abschließend.