Welt-MS-Tag 2019

Presseaussendung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie zum Welt-MS-Tag 2019

Welt-MS-Tag 2019: Immer bessere Therapien stehen zur Verfügung


In Österreich sind rund 12.500 Menschen an Multipler Sklerose erkrankt. MS ist nicht heilbar, doch stehen immer mehr innovative Therapien zur Verfügung bzw. vor der Zulassung. MS-Experten warnen, dass in Österreich manche Medikamente zwar zugelassen werden, jedoch von den Kassen nur in Einzelfällen bezahlt werden – dies schade nicht nur den Patienten, sondern auch dem Forschungsstandort, weil Österreich dann nicht mehr zu internationalen Studien eingeladen würde. Positiv sei der Trend zur EU-weiten Homogenisierung von Empfehlungen und Richtlinien. Der Welt-MS-Tag 2019 findet am 30. Mai statt und steht unter dem Motto „My invisible MS“. Die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) informiert anlässlich dieses Awareness-Tages über diese Krankheit, die Beschwerden und das Leben mit MS sowie über Warnhinweise und Behandlungsmöglichkeiten.

In Österreich sind rund 12.500 Menschen an Multipler Sklerose erkrankt, weltweit sind es etwa 2,3 Millionen. In aller Regel wird MS, an der dreimal so viele Frauen wie Männer erkranken, zwischen dem 20. Und 40. Lebensjahr festgestellt, mit geringer Häufigkeit tritt sie bereits im Kindes- und Jugendalter auf, Erstdiagnosen nach dem 60. Lebensjahr sind selten. „MS ist die häufigste neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter mit dem Risiko einer zukünftigen Behinderung“, sagt ÖGN-Präsident Univ.-Prof. Mag. Dr. Eugen Trinka (Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie, Salzburg), anlässlich des Welt-MS-Tages 2019, der am 30. Mai stattfindet. „Der Welt-MS-Tag steht dieses Jahr unter dem Motto ‚My invisible MS‘ und will über diese Krankheit, über die Beschwerden und das Leben mit MS sowie die Behandlungsmöglichkeiten aufklären und informieren.“

Obwohl MS derzeit nicht geheilt werden kann, wurden in der MS-Therapie bisher viele Erfolge erzielt. „Bei etwa 85 bis 90 Prozent beginnt die Krankheit mit einem schubförmigen Verlauf. Speziell in Fällen früher und schubförmiger Krankheitsverläufe kann heute eine wirksame Kontrolle der Krankheitsaktivität erreicht werden“, so Prof. Trinka. „In der Therapie der fortschreitenden Fälle sind die Möglichkeiten noch immer sehr begrenzt. Trotzdem gibt es inzwischen beträchtliche Behandlungsmöglichkeiten. Unter Berücksichtigung der individuellen MS-Form und der Patienten-Wünschen ist auch eine gewisse personalisierte Anpassung der Therapie möglich geworden.“

Wirksame Behandlung in den ersten Krankheitsphasen kann Invalidität ersparen

„Eine wirksame Behandlung in den ersten Krankheitsphasen kann die gefürchtete Invalidität ersparen und ist außerdem gesundheits- und gesamtökonomisch sinnvoll, weil Folgekosten der Krankheit vermieden oder verringert werden können“, sagt Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger, Leiter der Wiener Universitätsklinik für Neurologie und Koordinator für MS der ÖGN.

Innovative MS-Medikamente: Cladribin, Ocrelizumab, Siponimod

Aktuell, berichtet Prof. Berger, ist bei den MS-Therapien einiges in Bewegung geraten:

Der Wirkstoff Cladribin, der ursprünglich als Krebsmedikament entwickelt wurde und als Tablette eingenommen wird, ist in Österreich seit 2018 in der Erstattung zur Behandlung der hochaktiven schubförmigen MS.

Der monoklonale Antikörper Ocrelizumab, ein für die Behandlung der aktiven schubförmigen MS zugelassenes Immunsuppressivum, ist in Österreich seit Mai erstattungsfähig. In der EU ist er auch für die frühe primär chronisch progrediente Verlaufsform von MS zugelassen, gegen die es bisher gar keine Therapie gab. Prof. Berger: „In Österreich ist Ocrelizumab allerdings in der No-Box, was in der Realität des Alltags die Verwendung oft schwierig macht, weil die No-Box mit restriktiven Regeln zur Erstattung verbunden ist.“

Im März hat die US-Arzneimittelbehörde FDA Siponimod zugelassen, das erste oral einzunehmende Medikament zur Behandlung von sekundär progredienter MS (SPMS) – wenn also die Erkrankung nach anfänglich schubförmigem Verlauf in ein langsames, kontinuierliches Fortschreiten übergeht. Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen der Phase-III-Studie EXPAND mit mehr als 1.650 Patienten mit SPMS. Im Vergleich zu Placebo reduzierte Siponimod das Risiko einer nach drei Monaten bestätigten Behinderungsprogression um 21 Prozent. Hinsichtlich der Krankheitsläsionen und der Abnahme des Hirnvolumens zeigte sich bei der Siponimod-Gruppe im MRT eine signifikant messbare Verbesserung. Wann Siponimod in der EU zugelassen wird und wie die Erstattung in Österreich geregelt wird, ist derzeit noch offen.

Zugelassen, aber nicht immer kostenerstattet: Problem für Patienten und Forschungsstandort

„Wir stehen insgesamt vor dem Problem, dass es in Österreich Anzeichen gibt, dass zukünftig manche innovativen Medikamente zwar zugelassen sein werden, aber nicht kostenerstattet werden: Das bedeutet nicht nur, dass MS Betroffene von der Option neuer Therapien ausgeschlossen werden, sondern dass Österreich als Forschungsstandort international zunehmend ins Hintertreffen gerät. Zum Beispiel, weil dann auch keine österreichischen MS-Zentren zur Teilnahme an internationalen Multicenter-Studien mehr eingeladen werden“, so Prof. Berger. Mit der Auswirkung, dass Österreich dadurch als derzeitig vorbildhafter „MS-Betreuungsstandort“ sein Alleinstellungsmerkmal diesbezüglich verliere, ebenso seine internationale Anbindung via Studienteilnahmen. Österreich werde dann auch kein „Markt“ mehr für innovative Therapien sein.

Es sei also im Interesse der Patienten, aber auch des Versorgungssystems und des Forschungsstandortes wünschenswert, dass Neurologen (wieder) in Gremien, die über Medikamenten-Zulassung und -Erstattung entscheiden, als Fachexperten gehört werden. „Mit dem 2006 begründeten österreichischen MS-Therapie-Register, das inzwischen rund 60.000 Datensätze von 4.500 MS-Patientinnen und -Patienten umfasst und ständig weiterentwickelt wird, gibt es eine solide und umfassende Evidenz über die Krankheit und ihre Behandlung mit den eingesetzten Therapien“, so Prof. Berger. „Das bietet eine qualitätssichernde Basis, die für die Zahler im Gesundheitssystem unentbehrlich sein sollte, wenn es um Entscheidungen über innovative Medikamente geht.“

Das MS-Therapie-Register soll primär dazu beitragen, die Qualität der Behandlung zu sichern – die Therapie mit den modernen MS-Medikamenten erfolgt nach entsprechender Diagnose und Indikationsstellung über rund 130 MS-Zentren.

Positiver Trend zur Homogenisierung von Empfehlungen und Richtlinien in der EU

Eine sehr positive Entwicklung sieht Prof. Berger in der Homogenisierung von diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen und Richtlinien in der EU. „Bei MS sind die Herangehensweisen, die Algorithmen für Therapien und das Reimbursement sehr uneinheitlich geregelt. Die neuen Guidelines der europäischen Fachgesellschaften EAN und ECTRIMS bieten eine gemeinsame Basis, von der aus sich vieles weiterentwickeln kann. Es geht darum, ein Rahmenwerk zu schaffen, an das regionale Prozesse angepasst werden“, so Prof. Berger.

Eine Bestandsaufnahme für den Umgang mit MS in Europa, in die auch Prof. Berger involviert ist, wird für kommenden Herbst erwartet. Prof. Berger: „Das österreichische MS-Netzwerk mit der Zertifizierung durch die ÖGN gilt in Europa als beispielgebend.“

Wann zum Arzt?

Das Erscheinungsbild der MS ist vielfältig. Viele anfängliche Beschwerden können auch denen anderer Krankheiten entsprechen. Hier eine Reihe von Hinweisen, wann ein Neurologe aufgesucht werden soll.

  • Zu Beginn treten häufig motorische Störungen auf wie Lähmungen und Sehstörungen mit Verschwommen- oder Nebelsehen.
  • Es kommt oft zu Gefühlsstörungen der Haut (Kribbeln, Missempfindungen, Taubheitsgefühl).
  • Es können Blasenstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder Greifen, Doppelbilder und/oder verwaschenes Sprechen auftreten.
  • Im Verlauf sind Lähmungserscheinungen mit einem Steifigkeitsgefühl vor allem der Beine häufig.
  • Blasenstörungen können als nicht gut kontrollierbarer Harndrang und/oder eine Blasenentleerungs-Störung bis hin zur Inkontinenz auftreten.
  • Es kann zu Erschöpfbarkeit („Fatigue“), kognitiven Einschränkungen, Depressionen, Schmerzen, Schwindel und sexuellen Funktionsstörungen kommen.