Welt-Alzheimer-Tag 2021

„Neue Therapie stellt den Goldstandard in der Alzheimerbehandlung dar“

Am 21. September ist Welt-Alzheimer-Tag. In Österreich leiden derzeit rund 130.000 Menschen an Demenz, 100.000 davon an der Alzheimer Krankheit.

„Die medizinischen Errungenschaften und mehr ausgewogene Lebensweisen führen zu einer stetigen Steigerung unserer Lebenserwartung. In Österreich wird in den nächsten 10-15 Jahren der Anteil der über 60-Jährigen von 24% auf 37% an der Gesamtbevölkerung anwachsen. Neben der Freude über unser zunehmend längeres Leben, muss sich aber die Gesellschaft auf das Älterwerden vorbereiten. Bei Neurodegenerativen Erkrankungen, die häufiger im höheren Erwachsenenalter auftreten können, ist die Prävention ein wichtiger Faktor. Dabei stellen eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, Neugierde und soziale Kontakte wichtige Säulen in der Vorbeugung dieser Erkrankungen“, so der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie in Wien, Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger.

Ein wichtiger Faktor in der Behandlung von Morbus Alzheimer ist die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Aktuell sind 126 Substanzen bei 38.000 Alzheimer-Patienten in der klinischen Wirksamkeitsprüfung. „Der Monoklonale Antikörper Aducanumab wurde von der US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) im Juni 2021 als erste kausal-wirkende neue Substanz für die Behandlung von Morbus Alzheimer zugelassen – dies kann als Milestone in der Demenzbehandlung bezeichnet werden. Trotzdem kommen bis jetzt auch die symptomatischen Wirkstoffe nicht ausreichend zum Einsatz“, so der Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco.

Erstmals seit 18 Jahren hat die FDA mit Aducanumab einen neuen Wirkstoff für die Behandlung der Alzheimerdemenz zugelassen – trotz negativer Expertise des unabhängigen FDA-Beraterboards. Dabei handelt es sich um einen monoklonalen Antikörper, der für die Therapie der frühen Alzheimer-Krankheit entwickelt wurde. Aducanumab wird einmal monatlich als intravenöse Infusion verabreicht und soll die aus Beta-Amyloid bestehenden senilen Plaques im Gehirn abbauen. Die Zulassung von Aducanumab wurde auch bei der European Medicines Agency (EMA)  beantragt – Entscheidung steht noch aus.                                                                            „Die FDA-Zulassung von Aducanumab ist ein wichtiger Impuls für die Forschungs-Community, dies ermöglicht zum ersten Mal eine disease-modifying therapy“, so Univ.-Prof. Reinhold Schmidt von der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Graz. Seit 2016 wurde, in zwei Phase III Studien, der Wirkstoff an 3.200 Probanden geprüft.

Beide Studien zeigten eine signifikante dosis-und zeitabhängige Reduktion des „Amyloid-Loads“. Im Juli 2020 wurde dann der Antrag auf Zulassung bei der FDA eingebracht, Anfang Juni dieses Jahres fiel die Entscheidung, dass die Substanz in einem beschleunigten Verfahren zugelassen wurde. Dabei ist die FDA zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen von Aducanumab größer ist als die Risiken von Nebenwirkungen. Der Wirkstoff werde weiter genau beobachtet und der Hersteller müsse weitere Studien machen. Sollte die Substanz nicht so wirken wie vorgesehen könne man Aducanumap wieder vom Markt nehmen. Die FDA hat dem Hersteller damit ein enges Korsett hinsichtlich Überprüfung und Wirksamkeit angelegt. Aber selbst bei bewiesener Wirksamkeit werden einige Herausforderungen entstehen: Bei den Nebenwirkungen gilt es vor allem auf die „Amyloid-related Imaging Abnormalities (ARIA)“ zu achten: Denn in 41% traten sie bei den mit der Hochdosis behandelten Patienten auf. Das habe zur Folge, dass bei der Behandlung ein engmaschiges Monitoring mit einer regelmäßigen MRT-Kontrolle notwendig sein wird. „Bezüglich Patientenselektion ist festzuhalten, dass in den Studien nur Patient*innen in Frühstadien der Alzheimerdemenz und solche mit leichter Alzheimerdemenz eingeschlossen wurden. Gleichzeitig wurde vor Therapieeinleitung bei allen Patient*innen ein positiver Biomarkernachweis für erhöhten „Amyloid-Load“ durchgeführt“, so Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt.

Seit mehr als 20 Jahren kommen bei der symptomatischen Behandlung von Alzheimer einer der folgenden Acetylcholinesterase-Hemmer zum Einsatz: Donepezil, Rivastigmin und Galantamin. Diese können das Fortschreiten der klinischen Symptomatik lediglich verlangsamen und die mit der Krankheit verbundenen Gedächtnisstörungen verzögern. „Alle drei Acetylcholinesterase-Hemmer werden in der medikamentösen Alzheimer-Therapie seit Jahren erfolgreich eingesetzt, sind top geprüft und gut verträglich“, unterstreicht Univ.-Prof. Dr. Peter Dal-Bianco.

„Die zugelassenen Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantin sind wirksam. Der Effekt ist moderat. Memantin verhindert schädliche Auswirkungen von Glutamat auf das Gehirn. Für Acetylcholinesterase-Hemmer besteht in Hinblick auf Verbesserung oder Stabilisierung des globalen klinischen Eindrucks ein um 15 Prozent besseres Ergebnis bei behandelten gegenüber Placebo-Gruppen. Aus Metaanalysen geht hervor, dass man etwa sieben Patienten behandeln muss, damit ein Patient zusätzlich zur Placeborate stabil bleibt oder sich kognitiv verbessert,“ erklärt Univ.-Prof. Reinhold Schmidt.

Prim. Univ.-Prof. Josef Marksteiner von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im KH Hall in Tirol bedauert, dass Medikamente gegen Morbus Alzheimer „nicht in dem Ausmaß verschrieben werden, wie dies indiziert wäre“. Auch bei den Betroffenen sieht er Verbesserungsbedarf: Diese nehmen die Medikamente zu kurzfristig ein – sei es, dass sie zu früh abgesetzt werden oder dass die Patienten die Therapie frühzeitig selbst abbrechen. Den Grund sieht Marksteiner darin, dass sich die Wirksamkeit der Antidementiva nur in kleinen, minimal wahrnehmbaren Schritten zeige. Für die „behandelten Patienten selbst bedeutet aber jede auch noch so kleine Verzögerung der Symptome eine entscheidende Verbesserung ihrer Lebensqualität“, betont er. Jeder Patient mit Alzheimer solle das verschriebene Antidementivum mindestens sechs Monate hindurch erhalten. In der Praxis werde es aber häufig als erstes von der Verschreibungsliste gestrichen.

Eine der Hauptherausforderungen sehen die Experten in der Früherkennung.  Bis zu 25 Jahre vor der eigentlichen klinischen Diagnose zeigen sich erste diskrete Anzeichen dieser chronisch-progredienten Erkrankung. Ausgehend von der genetisch bedingten Form des Morbus Alzheimer (etwa ein Prozent der Erkrankten) könnten Angehörige von Risikogruppen dank Biomarkern frühzeitig gescreent werden, was eine positive Entwicklung in der Diagnostik darstellt. Univ.-Prof. Dr. Dal-Bianco ortet, dass Morbus Alzheimer nach wie vor unterdiagnostiziert ist. Eine mögliche Strategie dagegen ist der vermehrte Einsatz von Diagnosetools wie MMSE (Mini Mental State Examination), der durchaus auch von niedergelassenen Allgemeinmedizinern erfolgen kann.

„Aus Patientensicht ist es erfreulich, dass neue wirksame Medikamente in der Behandlung von Morbus Alzheimer von der FDA zugelassen wurden. Ich hoffe, dass diese von der Europäischen Arzneimittelbehörde, nach sorgfältiger Prüfung rasch zugelassen werden. Trotzdem stellt die Vorsorge beziehungsweise die Früherkennung den wichtigsten Aspekt in der Behandlung von Morbus Alzheimer dar. Dabei haben auch die Allgemeinmediziner einen wichtigen Stellenwert, vor allem als „Gate-Keeper“ für die frühzeitige Zuweisung von Patienten zu einer neurologischen bzw. neuropsychologischen Untersuchung“, so Univ.-Prof. Dr. Thomas Berger abschließend.